Birgit Maria Wolf - Mythos
Dr. Katrin Arrieta

Die von Birgit Wolf für die "Infobox" des Kunstmuseums konzipierte Arbeit bringt den Geist des Bersteinzimmers nach Ahrenshoop. Nicht den historischen der Rokoko-Zeit, sondern den der Suche nach dem verschollenen "Achten Welttwunder", des Fiebers der Rekonstruktion - sowohl des Zimmers selbst, als auch der zahlreich durchgespielten Möglichkeiten seines Verbleibs seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Das Bernsteinzimmer ist zum Mythos geworden, zum Symbol für jenen Schatz, den Europa mit dem Krieg verwirkte: für seine alte Kultur. Das meint nicht nur die künstlerische Kultur, die Bausubstanz der im Krieg verwüsteten Schlösser, Städte und Landschaften. Es meint vor allem einen tiefer liegenden mentalen Reichtum, meint einen Wertekodex und ein kreatives Potential, die der Krieg gewaltsam außer Kraft setzte und nachhaltig verschüttete. Das Bernsteinzimmer ist ein "Troja" des 20. Jahrhunderts, fiktives Grabungsziel einer kollektiven Sehnsucht nach dem Verlorenen.
Birgit Wolf verbindet dieses Sehnsuchts-Motiv mit Sand, denn Sand ist ein Material, dessen eigene Geschichte alles nur denkbar Menschliche mit erfasst. Er ist gleichsam Produkt eines Herkommens aus der Ewigkeit, sein stummster und sanftester Zeuge. Die Sande der Künstlerin stammen aus aller Welt. Sie verwendet sie wie Pigmente, wählt sie beim Malen aber nicht nur nach Farbtönen, sondern auch mit Rücksicht auf ihre Fundorte. Der Malerei gibt das ein zusätzliches, verstecktes Bedeutungsprofil, das sie global einbettet. Das Bild des Bernsteinzimmers, ein fragmenthafter Porträtversuch, zeigt sich vor diesem Hintergrund in einem neuen Licht geistiger Entgrenzung. Figuren und Ornamente des Rokoko entfalten darin eine geradezu unschuldige, übermütige Sinnlichkeit, als ginge es um den Neuanfang eines ersten Tages.