FÄCHER sind ...
Text von Dr. Rolf Senn

FÄCHER sind ...

Wer sie wie Marie Antoinette ausgiebig gebraucht hatte, an den Abenden im Theater, während des Karnevals oder bei der Repräsentation unter ihresgleichen wußte, daß sie nicht einmal im Leben der Einfältigen nur Gegenstände des bloßen Gebrauchs waren. Selbst die Männer benutzten sie, was sich außerhalb der Bühne nur deshalb nicht grotesk ausnahm, weil jeder, der die langen Prüfungen höfischer Courtoisie bestanden hatte, diese bis in ihre kleinsten Fältelungen mit traumwandlerischer Fältelungen beherrschte.
Als Marie Antoinette auf ihrem letzten Gang - dem zum Richtplatz - keinen Fächer bei sich trug, sah dies zunächst nur wie eine Auslassung im Protokoll aus - für die Hinrichtung von Königinnen hatte man in Frankreich schließlich keine Präzedenz - es ging aber um nichts Geringeres als die Aufkündigung eines jahrhundertealten Codes. Fächer waren von nun an von der Rolle ihres Trägers getrennt wie der Körper vom Kopf.
Sie schienen sogar das Lager gewechselt zu haben: Der spanischen Tänzerin Lola Montez zum Beispiel dienten sie dazu, einem bayerischen König derart den Kopf zu verdrehen, daß er zu Regierungsgeschäften nicht mehr taugte.


FÄCHER sind ...

Nachdem in der klassischen Moderne die Gesellschaftsfächer zu leeren und die Liebesfächer zu trügerischen Zeichen geworden waren, wandelten sie sich erneut. Sie wurden zu essentiellen Zeichen der Kunst: wie alle anderen Arbeitsflächen auch neutralisierte die Moderne die Fächer zur Matrix abstrakter Zeichen, deren Botschaft es mit Hilfe der Handbücher, welche die Pioniere gleich mitlieferten, zu dechiffrieren galt.


FÄCHER sind ...

Die Fächer von Birgit M. Wolf mischten sich zu einem Zeitpunkt in das Gespräch der klassischen Moderne, als deren Tonfall zunehmend zum Gemurmel geworden war. Das Bewußtsein des Eigenen entwickelte sich so aus einer Mischung von Faszination und Unwillen. Binnen weniger Jahre durchmaß die Künstlerin die Grammatik monochromen Malens - die es in deren bedeutendsten Bildern nie war - "durchstreifte" sie, und überzog sie mittels des dripping mit der Ordnung des Punktes, ihrem Habitus nach oft dem Pointillismus näher, als dem amerikanischen Gestus. Strukturell ist dieser Dreiklang der Ebenen von Farbe, Streifen und Punkt jeder Grammatik der Ornamente verwandt. Wer Räume wie die Albambra mit wachen Sinnen durchstreift, kennt den präzis kalkulierten Sog, den die Abfolge der bemalten Stukkaturschichten ausüben. Als Architekturmalerei bleibt diese jedoch der Raumordnung, basierend auf dem Prinzip des Umrahmens dienlich.

Die Fächermalerei der Künstlerin greift von Anfang an in den Raum. Die blauen Fächer spannen sich, Feld um Feld, zum Unendlichen. Firmamentfarbe, Streifen und dripping sprechen vom gleichen Begehren. Die Streifen bilden in dieser Variante des horror vacui eine Art Spinnennetz. Wer sich, durch Fächerpracht verführt, darin verfängt wird zur Beute. Er hat übersehen, daß der voyeuristische Blick auf dem Fächer nicht statthaft ist. Der prächtigste trägt den Titel "Il magnifico". Unter diesem Beinamen sprach man von Lorenzo I de' Medici, dem hochmögenden Renaissancefürsten, welchem zu nahe zu kommen nicht jedermann ratsam war.

Das Zentrum des Fächers ist wie beim Spinnennetz der Ort, von wo aus die Aktion ihren Ausgang nimmt. Zum Kreis geschlossen wurde dieses Zentrum von der Künstlerin nie, denn es waltete eine höhere Vorsicht: Noli- me tangere lautete die These. Gemeint ist zum einen die Befindlichkeit malerischen Daseins im Sinne von "man störe mich nicht in meinem Tun". Die Arbeit ist eine Installation von Fächern, die vermittels einer alles durchdringenden gelben Streifung an Wänden und im Raum derart verspannt waren, daß es ratsam schien, den Raum als abgesteckten zu tolerieren.
Noli me tangere ist darüber hinaus das Prinzip der Spiegelung oder des Selbstgesprächs par excellence. Das Fächermalen hätte, wie das Schicksal des Narziß, dessen Spiegelbild sich zum Trugbild wandelte, tragisch enden können. Eingedenk dessen und mit dem Instinkt des Zeitgeistes entwickelte die Künstlerin eine Strategie des Verschwindens von Malerei. Sie gab damit dem Fächer seine ureigenste Qualität, die des Faltens und mit der Option des Einfaltens auch seine Verletzlichkeit zurück.
Zum Schutz dagegen entstand die Serie von ungezierten, mit Eisengrafit Gerüsteten; dann erst, in einem Akt letzter Entäußerung - weiße Fächer. Jetzt waren sie aller Obercodierung ledig und von einer Leichtigkeit, die ihre Elemente zu Flügeln verwandelte, leicht genug, um sich in die Welt zu erheben.