Spuren im Sand
Ausstellung Birgit Maria Wolf im Foyer des Berliner Podewil
Text von Knut Ebeling
Tagesspiegel, 21.04.1998


Wer im Podewil in der Klosterstraße ausstellt, hat es nicht leicht. Wegen bildender Kunst kommt hier kaum jemand hin. Es gibt auch gar keine Räume für Kunst im ehemaligen Haus der jungen Talente. Und die Werke, denen man dennoch sporadisch auf dem Weg zum Konzertsaal begegnet, sind eher Raumbestückung für Passanten, Running Gag, Pausenfüller. Zwischen erstem und zweitem Klingeln schnell noch ein paar Werke - vom wem noch mal?
Diesmal sind sie von Birgit Maria Wolf. Die aus dem Schwarzwald stammende Künstlerin ist ein Berliner Gewächs, das schon an der FU und HdK studierte, während das junge Gemüse von, Mitte MTV schaute. Wolf hat nicht zuviel Fernsehen geschaut, das zeigt sich an der gesammelten Energie, ihrer Arbeiten. Aus der Malerei kommend, siedelte die Künstlerin ihre Zy- i klen zwischen Skulptur und Malerei an. 1992 entwickelte sie im PS 1 in New York eine Serie von Fächern; 1995 zeigte sie in der Kunsthalle Moabit ihr Domino-Projekt", eine Zeichensammlung, deren Piktogramme -so direkt aneinander anschließbar sein sollten wie die Teile eines Domino- Spiels. Irgendwann begann die Senatsstipendiatin, Schattenrisse von Alltagsgegenständen in Sandbilder zu bannen - dies ist der Zyklus, der sich bis in ihre Arbeit im Berliner Podewil verlängert.
Bisher wurden Birgit Maria Wolfs Arbeiten mit Sand nur in Istanbul gezeigt, wo sie auch entstanden. Nun weht ein Hauch von Wüste durch das Foyer des Berliner Hauses. Ihre raumgreifende Arbeit "Momenta Inhibita" (angehaltene Momente) läßt sich den flüchtigen Zeitvertreib nicht gefallen. Denn mit dem Sand, der zwischen den Fingern zerrinnt wie die Zeit, transferiert Wolf die Ewigkeit der Steine an einen anderen Ort. In das halbkreisförmige Vestibül im Foyer des Podewil hat sie ein ebenso halbkreisförmiges Sandbecken hineingestellt. Erst auf den zweiten Blick erkennt man Spuren in der Sandkiste, so einfach wie eine Erinnerung an die Kindheit: hier ein Blatt, dort ein Baum, da ein Herz- Auf den großformatigen Wandtafeln, mit denen Wolf die Wände des Foyers fast vollständig auskleidet, werden aus den Spuren im Sand Spuren aus Sand: zarte Ornamente und Arabesken aus aufgetragenen Körnchen schmücken die großen leeren Tafeln. Leicht wie ein Sandkorn und filigran wie eine Fata Morgana - das ist der Gesang der Kindheit.
In weiteren Arbeiten variiert und kombiniert Wolf die Themen und Formen. Mit der Behutsamkeit eines Gärtners wacht sie über jedes Feld und streut glitzerndes schwarzes Granulat in ihre Sandkisten oder gröberen Sand oder Kieselsteine. Oder hängt andere Kisten mit anderen Ornamenten an die Wand, so daß sie aussehen wie Andachtsschreine. Hier ist es die hingehauchte Vergänglichkeit des Zeichens, das einen Moment der Ewigkeit heraufbeschwört - auch wenn er nur eine Pause lang dauert.