Konzept für Skopje

"La recherche du temps cristallisé" ist eine 30-40 teilige Arbeit über fragmentarische Stilleben. Barockkonsolen und Alltagsgegenstände werden monochrom eingesandet und verschmelzen zu einem Objekt. Die serielle Reihung schafft einen Raumbezug- das sich wiederholende Barockzitat stellt sich in Beziehung zu den orientalischen Ornamentfragmenten des gegebenen Ausstellungsraumes im "Cifte Amam", einem ehemaligen türkischen Badehaus, das jetzt die Nationalgalerie der Stadt Skopje beherbergt.


Die Sandfrau
"TIP" Stadtmagazin für Berlin, 2000
Text von Katrin Bettina Müller

Im Sand hat BIRGIT MARIA WOLF ihr ideales Material entdeckt. In der Ausstellung „Reservoir IV -Terratektura" zeigt sie ihr Tagebuch der versandeten Dinge
Mama sandelt. Wenn Stella und Jane, die beiden Töchter von Birgit Maria Wolf, in ihren Spielburgen und Kinderzimmern plötzlich etwas vermissen, sausen sie rüber ins Atelier und verdächtigen Mama, Spielzeug in ihrer Kunst versandelt zu haben.
Ganz abwegig ist das nicht. Denn schließlich hat Birgit Wolf schon auf Spielplätzen mit Kindern und Müttern verhandelt, stets auf der Suche nach ganz bestimmten Dingen.
Die kleine Sandkuchenform zum Beispiel, die in ihrem neuen Zyklus "Recherche du temps cristallisé" auf einer von 36 geschwungenen Konsolen liegt, stammt von einer Sandkastenbekanntschaft. Sie ist so etwas wie das Urmodell der Idee, konkrete Gegenstände des Alltags in Sand nachzuformen. Daneben tauchen ein Apfel, ein Kamm und ein Band auf, Kennern von Schneewittchen möglicherweise noch als Requisiten der bösen Königin bekannt. Alles ist mit Sand verkrustet wie angetriebenes Strandgut. Eine Perlenkette, die schon halb über den Rand der Konsole gerutscht ist und doch nicht fällt, verstärkt die Vorstellung einer angehaltenen Zeit. Man denkt vielleicht an den hundertjährigen Stillstand im Märchen von Dornröschen; aber längst nicht alle versammelten Dinge stammen aus der Welt der Prinzessinnen. Auch Coladosen und Pistolen, Pappteller und Mehrfachstecker finden sich auf den Ablagen. Das Stillleben der Objekte führt aus der Idylle bis in unsere Wegwerfgesellschaft.
Der Augenblick, bevor die Dinge ihren endgültigen Platz gefunden haben, interessiert dabei die Künstlerin. "Auf der Ablage bleibt, was noch nicht abgehakt ist", beschreibt sie den Status des Dazwischen. Sie erzählt von Besuchen in ihrem Elternhaus im Schwarzwald, wo in Zimmern und Kisten noch immer jede Menge Kram von ihr, und ihren Geschwistern wartet. Wer kennt nicht das lähmende Gefühl des Gefressenwerdens von der eigenen Vergangenheit, die auf unsere Entscheidungen wartet - aufheben, verschenken, wegwerfen? So unterschiedlich sehen Eltern und Kinder, was der Erinnerung wert ist und was man getrost vergessen kann. Von diesen zwiespältigen Gefühlen ist Wolfs "Recherche du temps cristallisé" durchdrungen.

Die Motive von Birgit Wolf beginnen zwar oft anekdotisch, gehen aber bald darüber hinaus. Der Sand befreit die Dinge von ihren Zufälligkeiten und persönlicher Bedeutung und gleicht sie einander an. Wie ein Vorgriff auf die Versteinerung schafft er Distanz. Die kristalline Kruste bezieht die Details quer durch Zeiten und Kulturen ein in ein alles verschlingendes Muster, an dem Birgit Wolf seit Mitte der neunziger Jahre webt. So wird Welt einverleibt.
1995 entstand die Serie "Domino", die 130 verschiedene Piktogramme, die wir im Alltag als Informationen brauchen, auf Domino-Steine übertrug. Die Zeichen waren aus der Sandoberfläche auf der einen Seite ausgespart, während die Seite mit den Punktzahlen zu Kombinationen aufforderte. Für Birgit Wolf war die Serie, die von der Berlinischen Galerie erworben wurde, der Anfang eines "Lebensromans", dessen Elemente seitdem in alle Richtungen ausgreifen.
1997 erhielt sie ein Stipendium in Istanbul. Dort entstanden Reliefs und ornamentale Bilder, die Ausschnitte aus Architekturen, Gittern, Ornamenten herausholten und vergrößerten. Einerseits beschrieb Wolf in ihnen die Schnittstellen zwischen privatem und öffentlichem Leben in der fremden Stadt und damit eine täglich erfahrene Grenze. Andererseits wuchsen die Muster auf den Bildtafeln und beschleunigten sich von Bild zu Bild, als ob sie ein Eigenleben führen würden. Dem Geformten standen Kästen mit losem Sand gegenüber, als könnten sich die Bestandteile der artikulierten Welt jeden Moment wieder in Staub auflösen und davonwehen. Wie Wasser, das keinen Anfang und kein Ende kennt, deutet jede Form aus Sand auch wieder ihre Auflösung an.

Auch die neue Serie der Fundstücke auf den barock anmutenden Konsolen spiegelt etwas von der Atmosphäre der Stadt, in der sie entstanden ist. In der Schöneberger Hauptstraße, wo Birgit Wolf ihr Atelier über einem Spezialgeschäft für Dekorationsbedarf hat, sind in den letzten zehn Jahren immer mehr Ramschläden, Reste-Rampen und Secondhand-Händler zwischen Woolworth und Hertie eingezogen. Hier kauft man nicht mehr, was man braucht, sondern was gerade günstig ist. In den Häusern über den Läden aber träumen die großen Altbauwohnungen mit Stuck an den Decken noch von einer reichen Vergangenheit. Etwas von diesem Wandel steckt in den Alltagsresten, die auf den barock geschnörkelten kleinen Regalen liegen.